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Gelangt der Casino-Kapitalismus an sein Ende? Die Spielbanken melden in diesem Jahr sinkende Umsätze

Die Spielbank Hamburg meldete vor einigen Tagen, ihr Umsatz sei im Vergleich zum vergangenen Jahr um 20 Prozent geschrumpft. Miserable Zahlen veröffentlichte auch der Branchenverband der Casinos im Land, die Deutsche Spielbanken Interessen- und Arbeitsgemeinschaft: Ihr Erlös sei von Januar bis September um 21 Prozent gefallen. Wie muss man das verstehen? Gelangt der Casino-Kapitalismus an sein Ende?

Die Spielbanken in Niedersachsen wollen ein Viertel ihrer 460 Arbeitsplätze streichen. In Sachsen-Anhalt verhinderte das Land schon vor Monaten den Zusammenbruch der staatseigenen Spielbank mit einer Million Euro aus der Staatskasse. Ob die Nothilfe reichen wird, weiß man zur Stunde noch nicht.

Am Wochenende kam dann noch eine schlechte Nachricht aus Dresden: Sachsens Spielbanken erwarten bis zum Jahresende 40 Prozent weniger Umsatz, berichtet die Freie Presse. Grund: Die Kundschaft bleibt weg.

Fusionieren die Casinos in Sachsen mit denen an der Saar, so wie die Landesbanken beider Länder? Schnürt Ministerpräsident Stanislaw Tillich ein Rettungspaket für Zockerhäuser?

Altlinke, die nun die Verantwortung einmal mehr auf den Markt schieben, liegen möglicherweise falsch. Der Staat selbst sei schuld, sagen die Casinobetreiber. Er traktiere sie mit Regeln, die den Gästen die Lust am Spiel gründlich verleideten. Das Rauchverbot! Die strengen Einlasskontrollen zum Kampf gegen die Spielsucht! Das Geldwäschegesetz! Die Konkurrenz der Spielhallen, die jeden an ihre Automaten ließen, der volljährig sei! Ganz zu schweigen von den Gewinnspielen im Fernsehen und im Internet, die eine unzulässige Konkurrenz darstellten.

Fangen wir mit Letzterem an: In Deutschland ist das Glücksspiel im Netz verboten. Den Aufschwung des Online-Pokerns hat das aber nicht verhindern können. Ist es vielleicht wie bei den riskanten Transaktionen mancher Fondsmanager, kümmern sich die Behörden nicht genug?

Das Netz zieht Spielernaturen unwiderstehlich an. Hier kann man viel Geld gewinnen – und auch verlieren. Das virtuelle Casino bietet zudem Möglichkeiten, dies es im realen Casino nicht gibt: Man kann an mehreren Tischen zugleich dabei sein. »Das erhöht die Wahrscheinlichkeit, abzusahnen«, sagt eine Spielerin aus Hamburg, die eine Weile ganz erfolgreich war und sogar von ihren Gewinnen lebte.

Die Casinos fürchten das Internet nicht so sehr wie die Spielhallen

Computerprogramme analysieren die Spielzüge der Gegner und helfen, den Überblick zu bewahren, wenn man an bis zu zehn Tischen dabei ist und jeweils zigtausend Dollar setzt. Wer klug und kühlen Kopfes spielt, braucht keinen Bürojob mehr. »Aber der Kick beim Pokern geht ziemlich an die Substanz«, sagt die Spielerin, die sich inzwischen aus dem riskanten Geschäft verabschiedet hat und ihren Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. Auch diese Reaktion erinnert an die Katerstimmung an der Börse.

Mehr als das Internet fürchten die Spielbanken Konkurrenz von anderer Seite. Es geht ihnen um das Geschäft mit Spielautomaten – nur mit denen sei noch Geld zu verdienen. Black Jack, Poker, Roulette, Baccara? Seien gut fürs Ansehen und in Agentenfilmen, aber nicht für die Bilanz. »Ein Zuschussgeschäft«, sagt eine Branchensprecherin. 80 Prozent des Umsatzes erzielen die Casinos mit Glücksspielautomaten. Ähnliche Automaten stehen in den Spielhallen, obgleich die Maschinen dort anderen Prinzipien folgen und deshalb »Geldspielautomaten« heißen müssen.

Der Staat hat vor zwei Jahren bestimmt, Geldspielautomaten nach neuen Regeln zu programmieren. Seither verdrängen »videobasierte Geräte« die guten alten Daddelmaschinen. Die Neuen bieten »20 und mehr dreidimensionale Spiele mit sehr intensiven Handlungserlebnissen« und sprechen deshalb »ein breiteres Publikum an« – so formuliert es der Verband der Deutschen Automatenindustrie, der die Fabrikanten vertritt. Seit es die neuen Geräte gibt, wächst die Zahl der Spielautomaten in Kneipen und Spielhallen steil, ebenso der Umsatz ihrer Her- und Aufsteller. Der Casino-Kapitalismus blüht, nur eben nicht in den Casinos.

Die Casinos fühlen sich benachteiligt: Der Staat möge es richten. Er soll den Spielhallen ähnlich strenge Einlasskontrollen abverlangen wie den Spielbanken. Immerhin gehe es auch um den Kampf gegen die Abhängigkeit. Forscher bestätigen das: Die meisten Spielsüchtigen, sagt Tilman Becker, Direktor der Forschungsstelle Glücksspiel der Universität Hohenheim, hängen in den Daddelhallen. Die ungleichen Kontrollen seien »nicht nachvollziehbar«. Die Gegenseite führt an, dass die Hallen, anders als Casinos, die Einsätze der Spieler begrenzen, ihnen stündliche Zwangspausen verordnen und die Nummer eines Beratungstelefons an jede Spielmaschine kleben. Wenn alles Geld weg ist, mahnt sie: Ruf mal wieder an!

© DIE ZEIT, 06.11.2008 Nr. 46

  • 3 weeks later...
Geschrieben

das problem liegt wohl am ehesten darin, dass die leute (otto normalverbraucher, der mann von der straße oder wie man sie auch nennen mag (ich zähle mich mal auch dazu)) einfach kein geld mehr in der tasche zum verzocken haben...

aus dem gleichen grund gehen die sexshops pleite, sind schwimmbäder nicht mehr zu halten etc...

geiz ist nicht geil, die leute sind zum geiz gezwungen...

gruß mauvecard

Geschrieben

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"...das problem liegt wohl am ehesten darin, dass die leute (otto normalverbraucher, der mann von der straße oder wie man sie auch nennen mag (ich zähle mich mal auch dazu)) einfach kein geld mehr in der tasche zum verzocken haben... ...geiz ist nicht geil, die leute sind zum geiz gezwungen..."

Natürlich liegt es daran, Mauvecard.

Ein verordnetes Viktorianisches Zeitalter.

Immer mehr Staat und weniger Eigenverantwortung schränkt die persönliche Freiheit ein.

Das Geld ist weniger wert.

Die Kaufkraft der Bürger sinkt.

Der Bürger soll vermehrt arbeiten und weniger verdienen.

Der Bürger soll lernen bescheidener und weniger genusssüchtig zu sein - Glücksspiel und Alkohol gelten als schändlich.

Aber das ist generalfeldstabsmäßig so geplant.

Die Schuldenuhr der Deutschen tickt.

Sie ist eine Zeitbombe.

Die Jahre des Aufschwungs sind verpasst.

Während die anderen Industrienationen boomten und die konjunkturelle Besserung nutzten, zerfleischte man sich hier mit Problemen, die keine waren. Hartz-IV war eine der teuersten Reformen im Nachkriegsdeutschland und erbrachte dem Land mehr ideologische Weichenstellungen als Nutzen. Nicht etwa, dass Peter Hartz seinerzeit keine politischen Visionen gehabt hätte, mit denen man die Probleme wirklich hätte lösen können - doch was in der Schröder-Ära verwässert wurde, lässt diese Reform kippen. Die Belebung auf dem Arbeitsmarkt ist eine statistische ...das Heer der Erwerblosen hat andere Namen erhalten und findet sich wieder in 1-€-Jobs, MAE-Maßnahmen, ABM-Stellen, Minderlohnjobs mit ergänzender Grundsicherung, Lockerung der Erwerbsunfähigkeit, Teilzeitarbeit, Arbeitslosen in Frührente, Arbeitslosen auf weiterbildenden Schulungen...

...sie alle fallen aus einer Statistik, die somit keine wirklichen Maßstäbe mehr hat.

Nehme ich dem Bürger die (in dieser Gesellschaft so hohen Stellenwert innehabenden) Genussmittel und Freizeitwerte oder verteuere ich sie, dass er sie sich nicht mehr leisten kann, erzeuge ich Unzufriedenheit im Volk. Noch kompensiert sich das durch Billigelektronik und Innovationen im Kommunikationsbereich. Für viele sind das Internet und die TV-Kanäle gepaart mit den Günstigeinkäufen bei den Lidls, Aldis, Plus und 1-€-Discountern dieses Wohlstandsstaats die letzte Bastion, sich einen guten Lebensstandard vorzutäuschen.

Aber die Schraube dreht sich weiter. Unaufhaltsam.

Hieran verdienen insbesondere die Billigproduktionsländer, in die die Industriestandorte sich allmählich verlagern. Mit Aktionen, wie dem Glücksspielvertrag der Bundesländer kappt sich die staatliche Administration zum einen die Einnahmequellen zur Aufrechterhaltung der Ordnung, zum anderen nimmt sie dem Bürger Freiheit und Ausweichmöglichkeiten aus dem Alltag. Da ist es kein Wunder, wenn der Spieler sich das 10-Cent-Casino als bevorzugte Spielplattform sucht... ...und nun auch noch kriminalisiert wird, weil er sich die 5-€-Mindesteinsätze in den Spielbanken oder 10-€-Minimas auf Einfachen Chancen der Spieltische nicht mehr leisten kann; soll er doch gefälligst nicht mehr spielen, sagt der Gesetzgeber. Wenn er sich die Zigaretten nicht mehr leisten kann, warum raucht er dann. Muss man Alkohol trinken?

Und so dreht sich die Spirale weiter und weiter - und die Überwachung nimmt zu, um kontrollieren zu können, inwieweit der Bürger auch "brav" genug ist, als ein solcher unbescholten zu gelten und sich weiter frei und eigenverantwortlich in unserer Gesellschaft bewegen zu dürfen.

Nur:

Durch diese sehr langsame, Jahr für Jahr stückweise erfolgende, schleichende Einengung der Rechte, bekommt die Masse nur unzureichend mit, wie wenig Bewegungsfreiheit sie eines Tages haben wird, wenn die Entwicklung sich in dieser Richtung fortsetzt ... und welche katastrophalen Auswirkungen das volkswirtschaftlich hat.

Nachtfalke.

.

Geschrieben

@ nachtfalke:

du sprichst mir aus der seele und ich stimme dem voll zu!

ich war und bin nur zu faul, um es so detailliert niederzuschreiben wie du es getan hast (und du hast ja immerhin wahrscheinlich weniger als 10 prozent von dem, was man dazu sagen könnte, hier niedergeschrieben...).

ich frag mich immer öfter, wie das noch alles enden soll, und ich finde keine antwort drauf...

gruß mauvecard

Geschrieben (bearbeitet)

Hallo Nachtfalke,

ein sehr guter Beitrag :biglaugh:

M.E. ist auch unabhängig von den sinkenden Realeinkommen der Reiz des Großen Spiels nicht mehr so groß,

weil die meisten Bürger eben den ganzen Tag mit vielerlei wirtschaftlichen und wegen der Individualisierung der

Gesellschaft auch mit privaten Problemen konfrontiert sind und keinen mentalen Freiraum für solche Aktivitäten haben (betrifft

aber nicht nur Casinos)

Gruss,

altersvorsorge

bearbeitet von altersvorsorge

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