Fritzl Geschrieben November 28, 2009 Geschrieben November 28, 2009 (bearbeitet) Hallo@,Glücksspiel im Dienst der Wissenschaft 25.11.2009, Jürgen Potthoff Dortmund. Es ist ein Ort, an dem man sich misstrauisch beäugt fühlt, obwohl niemand aufblickt. Männer sitzen im Halbkreis, umgeben von Spiegeln. Die Blicke hängen an wildem Geflimmer. Gesprochen wird nur im Glücksfall. Bei Apfel, Apfel, Apfel. Oder bei Sieben, Sieben, Sieben im Display der Geräte.Das sind die Codes, die hier zählen. Die Spielhalle - von außen ein Ort mit Geheimnissen, die man gar nicht lüften möchte. Blinde Fenster oder schäbiger Sichtschutz. Ungefähr so anziehend wie eine Garage für Menschen, die kein Auto besitzen. Soziologen und Kommunikationswissenschaftler aus Dortmund und Essen haben für die erste umfassende Studie über die Kultur der Spielhallen in das Innere dieser meist verborgenen Welt geblickt. Sie haben gespielt und verloren. Einen fünfstelligen Betrag, wie Professor Jo Reichertz von der Universität Duisburg-Essen gesteht. Die Säle sind von Mythen durchweht Seit gut 30 000 Jahren finden sich Belege dafür, dass die Menschheit spielt. Würfel fielen schon bei den alten Griechen. „Spiel", sagt Reichertz, „hat immer mit der Frage zu tun, ,wie ist mir das Schicksal gesonnen'?" Wie gespielt wird, ist dagegen eine Frage der Zeit und ihrer technischen Möglichkeiten. Neben den Spielcasinos mit ihrem traditionell gehobenen Ambiente breiteten sich seit den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts nahezu flächendeckend in Deutschlands Innenstädten Spielhallen mit Geldspielautomaten aus. 100 000 Geräte stehen heute in 8000 Hallen. Sieben Millionen Menschen über 18 Jahren spielen. Rund 0,2 Prozent der erwachsenen Bevölkerung sind nach aktuellen Erhebungen spielsüchtig. Diese Gruppe haben Reichertz und seine Wissenschaftskollegen zwar auch registriert, aber sie wollten ein differenziertes Bild einer ganzen Szene zeichnen. Der Professor nennt die Spielsüchtigen „die heikle Gruppe". Für ihn: „Eine Sondergruppe". Reichertz: „Wenn Sie begreifen wollen, was zum Beispiel die Faszination des Skifahrens ausmacht, können Sie sich nicht nur auf die Fahrer beschränken, die schon nachmittags um drei Uhr besoffen die Piste runterfahren." Laut der Studie sind Spielhallen eher „Orte der Kontrolle". Die meisten Spieler seien sich der Risiken bewusst und müssten in der Mehrzahl der Fälle davon ausgehen, ihre Einsätze zu verlieren. Insofern sei ein Höchstmaß an Selbstbeherrschung gefordert. Nicht gerade betrunken vor Glück Eine Spielhalle in der Dortmunder Nordstadt. Besoffen vor Glück ist hier tatsächlich niemand. Man sitzt stumm auf Barhockern vor dem, was Spieler die „Obstkiste" nennen. Das uralte Automaten-Modell - leider viel zu selten mit dem Glückstreffer Apfel, Apfel, Apfel gesegnet. Viele Automaten arbeiten ohne Zutun der Spieler deren Geld ab. Einzelne Männer hauen auf die Stopptasten. Sie hoffen auf den einen, den glücklichen Moment. Sie hoffen auf plötzliche Macht über den Automaten. „Dabei wissen alle, dass nur der Zufall die Automaten steuert", sagt Reichertz. Sein Wissenschaftler-Team hat bei der teilnehmenden Beobachtung in Spielhallen zwischen Köln und Dortmund erfahren, dass die Automatensäle trotz dieser ernüchternden Fakten von vielen Mythen durchweht werden. Da soll der Zufall durch genaue Beobachtung der Situation gezwungen werden. Da heißt es: „Geh' nicht an den ,Waterworld', der hat gerade erst gespuckt." Gewinnt ein Spieler, fallen oft abfällige Sätze über die bezwungene Maschine: „Dem hast Du's gezeigt." Ein Feind ist bezwungen worden. Bei aller Anrüchigkeit. Bei allen Suchtdebatten. Die Welt, die sich den Forschern eröffnet hat, ist eine zutiefst menschliche. Für Reichertz ist die Spielhalle „eine kleine Bühne, auf der Menschen das kleine Glück suchen". Eine Herausforderung im oft monotonen Alltag, die hinter all dem Blinken selbst monoton ist. Arne Niederbacher, einer der Wissenschaftler sagt: „Der ganz große Reiz hat sich mir nicht erschlossen." In den Spielhallen würden selbst größere Gewinne oft stillschweigend registriert. Sie sind ja eh vergänglich: „Bevor 2000 Gewinnpunkte in Euro ausgezahlt werden können, müssen mindestens vier Stunden vergehen", erklärt Forscher Gerd Möll. Das hat mit der Begrenzung auf 500 Euro Höchstgewinn pro Stunde zu tun. Aber da niemand ernsthaft vier Stunden wartet, ohne weiterzuspielen, zehrt sich der Gewinn oft wieder auf. Und der Sieger ist: Die Maschine. INFO "Spielgeld"-Spende Für ihre Studie haben die Essener und Dortmunder Wissenschaftler eine fünfstellige Spende der Automatenwirtschaft erhalten. Es seien keine Bedingungen an die Auszahlung dieses „Spielgelds" geknüpft gewesen, sagt Prof. Jo Reichertz. Ohne eine solche Spende sei eine derartige Untersuchung nicht möglich, da es undenkbar sei, öffentliche Mittel in Spielhallen zu verspielen. Die Automatenindustrie habe die Forschergruppe „weitgehend unbehelligt arbeiten lassen". Zu den Ergebnissen der Studie sei sie dann aber auf „kritische Distanz" gegangen. Das Buch zur Studie ist im VS-Verlag Wiesbaden erschienen. Es heißt „Jackpot - Erkundungen zur Kultur der Spielhallen" und kostet 14,90 Euro. Autoren sind Jo Reichertz, Arne Niederbacher, Gerd Möll, Miriam Gothe und Ronald Hitzler. Info: DerWesten bearbeitet November 28, 2009 von Fritzl
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